Nur Fliegen ist schöner
Sommer, Sonne, Deutsche Land? Wer im Jahresurlaub die StrandmitSchönwettergarantie haben möchte, für den gibt’s
in unseren Breiten eigentlich nur eine Möglichkeit: raus aus unseren Breiten. Dafür gibt’s dann wieder mehrere Möglich
keiten. Im Bus nach Spanien, mit dem Zug nach Italien, mit dem Auto nach Kroatien oder dem Taxi zum Flughafen – und
von dort aus ins LastMinuteSchnäppchen: Wir starten Richtung Griechenland!
Also gleich dann. Erstmal stehen wir an. Check in. Eine von drei Schlangen. Die, in der sich nichts bewegt natürlich. Denn
Oppa und Omma vor uns haben Sondersonderwünsche und schreien das Bodenpersonal an. Die Riesengroßfamilie hinter
uns nutzt die Zeit und streitet sich schon mal um noch nicht vorhandene Fensterplätze und über die Ansteckungsgefahr
von Reiseübelkeit. „Nor hoffendlüsch sitzn se nä in unsror näähe!“ sächselt es in der Schlange nebenan. Dann geht´s end
lich weiter. „Fensterplatz oder am Gang?“ „Fenster!“ Weder mein Koffer noch mein Handgepäck haben Übergewicht.
Läuft. Zumindest bis zur Sicherheitskontrolle. Meine Handcreme darf gerade noch so durch, aber dann sorgt eine in
Vergessenheit geratene Deospraydose für Unmut beimWachschutz. Ich muss mein gesamtes Handgepäck einmal kom
plett umschichten.
Wir haben es über die wackelige Gangway in das vondahintensahesvielgrößerauskleine Flugzeug geschafft und
ich quetsche mich auf 19F. Ans Fenster. Ich hab das Gefühl, so begehrt sind diese Plätze gar nicht, zumindest nicht bei
allen, die größer als 1,20 Meter sind. Die Aussicht ist toll, aber Bewegungsfreiheit nicht vorhanden. Das letzte bisschen
davon hat der Sachse annektiert. Er sitzt vor mir und noch gar nicht richtig, da hat seine Rückenlehne schon schwungvoll
die FastLiegeposition eingenommen. Egal, gleich geht’s los, in die Sonne.
Wir wissen jetzt, was bei einem drohenden Absturz zu tun ist, wo die Notausgänge sind und wie der Kapitän heißt, starten
können wir aber noch nicht. Es fehlen noch drei Passagiere. Wir warten und die Crew fängt schon mal an, die Koffer der
Vermissten zu suchen. Falls sie vermisst bleiben, muss nämlich ihr Gepäck wieder ausgeladen werden. Aha. Wir warten
weiter. Warten. Warten. Was soll´s. Auf dem Weg in den Urlaub guckt man ja nicht so genau auf die Uhr … 23 Minuten
später sind endlich alle an Bord. Der höhnische Beifall der besonders Genervten ebbt ab und wir heben ab.
Das war vor gut 1500 Kilometern. Inzwischen sind wir schon über der Ägäis. Das kleine Kind hinter mir tritt nur noch ge
legentlich gegen meine Rückenlehne und das noch kleinere Kind daneben hat aufgehört, Kekskrümel regnen zu lassen.
Oppa, der ganz in unserer Nähe sitzt, beschwert sich über die Konsistenz des Tomatensaftes. Die Großfamilie hat bewie
sen, dass Reiseübelkeit tatsächlich ansteckend ist und blockiert die Toiletten. Doch das alles ist nichts gegen den Druck
in den Ohren. Der hat wider Erwarten nichts mit der Reiseflughöhe zu tun: Irgendwo im hinteren Teil des Flugzeuges
schreit ein Kind. Ununterbrochen. Seit dem Start. Es weint nicht, es wimmert nicht, es brüllt. Gegen dieses Brüllen ist das
Zahnarztbohrergeräusch sanfte Schlummermusik. Vermutlich ist es ein total verstörtes und verängstigtes kleines süßes
Ding, das nicht weiß, wie ihm geschieht. Aber es ist so furchtbar laut. Weder Kopfhörer noch Ohropax haben eine Chance
dagegen. Die Stimmung im gesamten Flugzeug ist – mehr oder weniger offensichtlich – aggressiv. Erziehungsratschläge,
die Frage, ob man mit so kleinen Kindern fliegen sollte, und vorwurfsvolles Gemurmel haben das BordUnterhaltungs
programm überflüssig gemacht. Selbst die immer lächelnden Stewardessen wirken unterschwellig angespannt. Der
Kapitän hat auch schon länger nicht mehr von sich hören lassen. Ich frage mich, ob ein schreiendes Kind in mir als Frau
nicht irgendwie Mutterinstinkte wecken sollte, die das Ganze ertragbar machen? Ähm, nein. Oder ob das Kind nicht ir
gendwann mal müde wird und aufhört? Auch nein. Oder ob wir das nächste Mal vielleicht doch mit dem Auto nach
Kroatien fahren sollten?
Schussi, eure Mamu